myBelly
Hartmut Zänder: die Nabelschau . . . Gedankensplitter . . . home . . . mail
is the middle of the web

Eines hat der Webuser mit einem Belly strukturell gemein, nämlich die paradoxe Verfassung des »ubi quique«, was heißt, zugleich überall an jedem Punkt und doch nirgends im Besonderen zu sein, eine Zusprechung, die einst nur Göttern galt.
Das Web, das weltweite Netzwerk, verfügt über keinen messbaren Raum, es ist keine Res extensa, die in ein Koordinatenkreuz eingezeichnet werden könnte, deshalb ist jeder, der daran teilhat, zugleich im Zentrum und doch am äußersten Rand, ein ärgerliches Paradox, zu dessen Beseitigung unterschiedliche Strategien eingeschlagen werden.
Eine geht auf die Wertigkeit des Nutzers, sein »Ansehen« oder »Value« im Web, beworben mit Vote-me's, Bannern und Link-exchanges und darstellbar in der möglichen Internetformel »Value=n * eyeballs« oder anders ausgedrückt: der Wert eines Nutzers - sein Ansehen - erhöht sich mit der Anzahl der Augäpfel, die auf die eigene Seite schauen. Weitere Möglichkeiten sind: eigene Klubs zu eröffnen, Chatrunden und Foren zu betreiben, um über diese familienähnlichen Zugehörigkeiten so etwas wie eine virtuelle Heimat zu schaffen.
Heimat erdet und führt zurück in die Generationenkette, in der einer über seine Nabelschnur nicht nur mit seinen direkten Vorfahren, sondern mit allen Menschen verbunden und verwandt ist, wenn man das Zeitfenster nur weit genug spannt. Eine dem Web durchaus vergleichbare Struktur.
Abnabeln muss sein, und doch wird es im Leben immer wieder zurückgenommen zugunsten neuer Nabelschnüre, neuer Verbindungen und Abhängigkeiten, transformierten Strukturen, die ein wiederholtes Abnabeln erzwingen.
Auch wenn die ersten Versuche, Internetverbindungen schnurlos herzustellen, bereits anlaufen, erscheint doch der Zusammenschluss der Computer mittels Strom- und Telefonnetzen wie eine kollektive Vernabelung. ( Wie sagt der Herr im Werbespot für Pay-TV: »Wie, Sie haben noch kein Kabel?« )
Das Anschließen von Kabeln ist den meisten ein Graus, ähnlich dem Entziffern von Handbüchern, steht die Verbindung jedoch erst einmal, werden die vorigen Verwirrungen und Verzweiflungen augenblicklich vergessen, um dem unvergleichlichen Glücksgefühl des »User your-name is logged in« zu weichen. ( Der staunende Tennisstar: Ich bin drin?! }
Drin-sein = In-sein!
Das Drinsein im Netz, im neugewonnenen El Dorado des Überall und Nirgends, im Spielraum allgemeiner Verfügbarkeit erzeugt ein aufgespaltenes Bewusstsein, ein schizophrenes Dasein. Über die Augen, Hände und Kabel mit der Welt hinter dem Monitor verschaltet, gerät der Leib vor dem Bildschirm ins Hintertreffen und wartet nun immer stärker auf seine Wiederentdeckung. Ob dazu die zurückblickenden Live Webcams ausreichen, ist allerdings fraglich.
Der Dolmus-Bus von Alanya nach Manavgat im Süd-Westen der Türkei hängt voller Amulette gegen den bösen Blick, insgesamt sieben Augen in der typischen blauen Tropfen- oder Tränenform, wie sie überall auf den Märkten angeboten werden, um fremde Blicke auf sich zu lenken, dort zu zentrieren und so ihren Träger unbehelligt zu lassen. Was ist das Böse an diesen Blicken? Warum müssen sich muslimische Frauen vor ihnen schützen, indem sie sich verhüllen? Antwort: weil sie begehrlich sind.
Blicke sind grundsätzlich begehrlich, deshalb braucht ein Händler auch nur den Blick auf die Waren lenken, die er verkaufen möchte, um die verborgene, naturgegebene Begehrlichkeit zu wecken. Werbung von Gemüseauslagen auf dem Wochenmarkt über TV-Spots bis hin zu den eingestreuten "Bannern" auf den Internet-Seiten.
Doch im Web hat sich die Art von Blicken verändert. Das »Sich-schöne-Augen-machen«, der Austausch der Blicke, das Changieren von liebevoll guten bis hin zu begehrlich bösen Blicken zählt nicht mehr, ist hier uninteressant geworden. Eben nicht die Qualität, sondern nur noch die Quantität der »Eyeballs« ist von Belang, die Treffer und Hits auf einer Seite, von Countern gezählt und von den Logbüchern auf Servern ausgewertet.
Der Split, die Kluft des digitalen Interface in eine Welt vor und hinter dem Bildschirm zieht sich ebenfalls durch das, was wir als unsere persönliche Identität kennen. Sie droht einerseits verlustig zu gehen, da wir zur Werbezielgruppe, zum numerischen Eyeball verkommen, doch andererseits bietet sich die Chance einer neuen, einer virtuellen Identität. Was daraus wird, ist noch nicht auszuloten und zu beantworten, doch eine Frage steht bereits fest: was wird aus unserem wirklichen Leib vor dem Monitor?
An unsere biologische Identität erinnern zwei Leibesdinge: der Bauchnabel und die Augäpfel, die zusätzlich noch Träger der sozialen Persönlichkeit sind, weshalb sie bei Verdacht mit schwarzen Balken verdeckt werden müssen.
Das Bild eines in die Betrachtung des eigenen Nabels Versunkenen galt dem werkversessenen Abendländer lange Zeit als unziemlich, verwerflich, ja geradezu abstoßend. Er sieht in diesem Bild des Orientalen, Inders, Chinesen jemanden, der es versäumt, dem Leben tätig einen Sinn zu geben und stattdessen wie Narziss ins eigene Spiegelbild verliebt zu sein scheint.
Dem asiatischen Verständnis eines ruhenden Geschehenlassen steht die abendländische Auffassung der Meditation als intellektueller Arbeit, zum Beispiel Bibelforschung diametral entgegen.
Das Augenlicht, den alten Philosophen Garant der Gottähnlichkeit, soll sich heute nicht herunterbeugen zum Ursprung des eigenen Lebens, soll nicht den Bauchnabel betrachten, sondern es soll, bevor es erlischt, verschmelzen mit dem blauen Licht der Monitore, soll mit ihm im Takt fließen und Hits erzeugen.
Darum hier eine offene Sammlung mit Portraits realer Bauchnäbel, deren individuelle Schönheit und Einzigartigkeit man betrachten kann, ohne die Augen vor dem Monitor verschließen zu müssen. Selbst die obigen Werbebanner sind an dieser Stelle wichtig, denn sie sind mit ein Grund, warum diese Seite überhaupt nötig wurde.

Köln, Alanya, im Februar 2000